Volksheiliger
Der hl. Martin ist der erste Nichtmärtyrer, der in der Kirche öffentlich verehrt wurde. Seine Verehrung in Liturgie und Volksfrömmigkeit setzte schon bald nach seinem Tod ein und fand sehr rasch Verbreitung. Das, Grab über dem zunächst eine Kapelle und dann in der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts eine dem Heiligen geweihte Basilika errichtet wurde, entwickelte sich zum fränkischen Nationalheiligtum und war nach Rom die am meisten besuchte Wallfahrtsstätte. Im 5. Jahrhundert fand der hl. Martin auch Aufnahme in den Festkalender der Diözese Tours. Die Martinsverehrung griff rasch in weite Räume aus und beschränkte sich nicht nur auf die Stätten seines Wirkens (Tours, Ligugé, Marmoutier, Candes, Trier, Mailand u.a.). Im heutigen Frankreich sollen ihm am Ende des Mittelalters über 3600 Kirchen geweiht gewesen sein, Städte und Burgen erhielten ebenfalls seinen Namen. Ungefähr seit dem Jahr 500 fand das Martinspatrozinium in Italien Verbreitung, im 6. Jahrhunder auch in Spanien.
Unter dem Merowingerkönig Chlodwig I. (482 – 511), der 497 die Taufe empfing, wurde der hl. Martin Schutzpatron des fränkischen Reiches und sein Mantel, die cappa, die als Reichsreliquie galt und seit 679 einen Teil des Königsschatzes bildete, wurde in den Schlachten mitgeführt. Die die cappa begleitenden Priester wurden als capellani bezeichnet; von ihnen leitet sich der Begriff Kaplan her. Wohl unter Pippin dem Mittleren (gestorben 714) gelangte die cappa in die Obhut der Karolinger, die die Martinsverehrung bis nach Friesland und in die rechtsheinischen Gebiete trugen. Mit der Ausdehnung des Karolingerrieches nach Osten begann sich der Martinskult auch im heute österreichischen – 799 wird die Martinskirche in Linz genannt – und westungarischen Raum zu verbreiten.
Martinsbrauchtum
Der Martinstag war einst ein wichtiger Rechts- und Zinstermin: Abschluß des Wirtschaftsjahres, Regelung der Pachtverhältnisse, Leistung von Geld- und Naturalabgaben.
Mit dem Martinstag begann einst auch die Adventzeit, die entsprechend der vorösterlichen Fastenzeit ebenfalls vierzig Tage dauerte und nach dem Heiligen als „Martinsquadragese“ bezeichnet wurde. So ergab sich wohl die Gelegenheit am Vorabend noch einmal kräftig zu essen.
Aus der Fülle des Brauchtums am Martinstag hat sich nur mehr wenig erhalten: die Laternenumzüge der Kinder (dabei ist auch eine Kinder- und Lichtersegnung möglich), die Weinsegnung (erst mit dem martinitag gibt es den „Heurigen“) und vor allem das Ganslessen.
Bauernregeln und Wetterorakel erinnern noch an das Ende des bäuerlichen Wirtschaftsjahres und den nahenden Winteranfang: „Kommt Martin heran, hat der Bauer das Dreschen getan“ oder „Der Martin kommt auf dem Schimmel geritten“ (Möglichkeit des ersten Schneefalls) Aus der Farbe des Brustbeins der Martinigans glaubt man auf das Winterwetter schließen zu können; hellere Färbung zeigt einen strengen, dunklere einen milden Winter an.
In protestanitschen Gegenden wird der Martinstag auf Martin Luther bezogen, der am 10. November 1483 geboren wurde und den hl. Martin von Tours als Namenspatron erhielt.
Martinisegen und Martinigerte
Die Martinisegen stellen ein am Martinitag (11. November), dem Ende des Weidejahres, gepflegtes Spruchgut dar. In den meisten Fällen ist dieses Brauchtum um die Jahrhundertwende abgekommen, lebte aber in einzelnen Gebieten bis nach dem Zweiten Weltkrieg weiter. Beim letzten Heimtrieb von der Weide überreichte der Hirte seien Dienstgeber die Martinigerte, einen Birken-, Weiden, Eichen- oder auch Wachholderzweig, der dann den Winter über aufbewahrt und beim ersten Austrieb im Frühjahr als Rute wieder Verwendung fand. Der für das Weidejahr zustehende Lohn wurde dem Hirten in Naturalien oder auch in Geld abgegolten.
Die Matinisegen sind Zeugnisse einer alten Hirtenkultur und haben sich in der zuletzt gebrauchten Form im 16. Jahrhundert ausgebildet, ihre Wurzeln reichen aber viel weiter zurück und schließen sich eng an alte Beschwörungsformen und Segenssprüche an.
Die zeitliche Nähe des Abschlusses des bäuerlichen Wirtschaftsjahres mit dem Festtag des Heiligen ließen den hl. Martin schon sehr früh – vielleicht bereits im 10. Jahrhundert – zum Schutzpatron des Viehs werden, obwohl seine Lebensbeschreibung kaum Einfluß auf das Viehpatronat gehabt haben dürfte.
Nickelsdorf
Der Hirt nimmt die Gerte in die Hand
und steckt sie an die Wand.
am Gregori-Tag nimm’s heraus
und treib deine Viecher auf die Heid hinaus,
daß’s die Bein‘ nicht bricht,
und die Haut net z’reißt.
Gottvater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen
Lebenbrunn
Daß ihr wißt,
jeder Hirt geht mit der Gart’n um!
soviel Äst und Zweig und Knsopen,
sollst das künftige Jahr Ferkel austreiben!
Gelobt sei Jesus Christus!
Krobotek
Jürgen treibt aus,
Martini z’Haus,
Rinder und Schwein,
soll alles z’Haus sein!
Belege für die verschiedenen Formen des Martinisegens finden sich im gesamten burgenländischen Raum mit Ausnahme der Gebiete intensiven Weinbaus, die kaum einen gemeinsamen Viehtrieb kannten, und der landwirtschaftlich modernisierten Dörfer der Wulkaebene, in der östlichen Steiermark, in Ostniederösterreich und vereinzelt in Oberösterreich. Ein weiteres Verbreitungsgebiet stellen die bayrischen Donaulandschaften dar.
Die verschiedenen Formen des alpenländischen Brauchtums am Martinitag (Wolfaablassen, Alperertreiben, Kasmandlfahren) weisen zwar keine unmittelbaren Zusammenhänge mit den Martinisegen auf, lassen aber noch deutliche Zusammenhänge einer ehemaligen Hirtenkultur erkennen, der ja alles Brauchtum dieser Zeit zuzuordnen ist.
Ein vielseitiger Heiliger
Der hl. Martin ist ein vielseitiger Heiliger. Er ist Schutzpatron der Soldaten, Kavalleristen, Reiter, Hufschmiede, Waffenschmiede und Pferde (weil er berittener Soldat war); der Weber und Schneider (wegen seines Mantels); der Reisenden (wegen seiner Missionsreisen); der Abstinenzler (weil von dem ihm vom Kaiser angebotenen Wein nur nippte): der Gänse und Haustiere; weiters der Ausrufer, Bettler, Bürstenbinder, Fassbinder, Gefangenen, Gerber, Gürtelmacher, Handschuhmacher, Hirten, Hoteliers, Hutmacher, Müller, Schaflederhändler und Tuchhändler.